ETWAS UNWIDERSTEHLICHES BIETEN - Interview mit Christoph Lieben-Seutter Generalintendant der Laeiszhalle und Elbphilharmonie

Was hält Sie nachts wach? 

Zurzeit schlafe ich sehr gut, das ist aber nicht immer so. Meistens sind es relativ akute Probleme, seien es Managementaufgaben oder Personalprobleme, die einem um 5 Uhr früh durch den Kopf rattern. Manchmal waren es auch komplexe politische Situationen, gerade beim Projekt Elbphilharmonie. Da gab es viele Themen, die ich nicht unmittelbar beeinflussen konnte, weil sie sich mit den Entwicklungen auf der Baustelle ergeben haben. Mehr als einmal war die Frage, ob das gut ausgeht, ob es Sinn macht, dem Projekt treu zu bleiben. Ich bin 2007 als erfolgreicher Intendant aus Wien gekommen, um die Elbphilharmonie 2010 zu eröffnen. Dazu kam es bekanntlich dann erst sieben Jahre später. In diesen Jahren hatte ich zwar genug zu tun, weil ich auch für die Laeiszhalle zuständig war, aber es war zum Teil schon wild. Die Situation auf der Baustelle war so verfahren, dass der Name „Elbphilharmonie“ in Deutschland eine Zeit lang zum Synonym für „Bauskandal“ geworden ist. Ich hatte ja mit dem Bau direkt nichts zu tun, musste aber die verschiedensten Stakeholder, sei es in der Politik, seien es Geldgeber und Sponsoren, die Presse, Künstler oder Managements und nicht zuletzt mein Team, über diese Jahre bei Laune halten. Jetzt wissen wir wofür.

Von welchem Unternehmen können Sie am meisten für Ihre Zukunft lernen und warum?

Das habe ich mir noch nicht überlegt. Ich bin kein typischer Manager, der Managermagazine liest und weiß, wer was wo gerade wie gut macht. Natürlich kommt man an den Weltmeistern von Apple bis Tesla nicht vorbei. Firmen, die neue Produkte entwickeln, von denen man vorher nicht wusste, dass man sie braucht bzw. haben will. Da gibt es Parallelen zu meiner Arbeit, denn in der Kunst und Kultur versuchen wir auch, nicht nur die bestehende Nachfrage zu befriedigen, sondern eine Nachfrage nach neuen Inhalten zu generieren. Schlussendlich beeindrucken mich Firmen und Unternehmer, die die Welt verbessern wollen und nicht ausschließlich auf Profitmaximierung aus sind. Firmen und Unternehmer mit originellen Produkten und Geschäftsideen, die positive Auswirkungen auf die Gesellschaft oder die Umwelt haben, und die damit auch noch Geld verdienen.  

Wer beschäftigt sich bei Ihnen im Hause mit dem Thema Zukunft?

Um die „Produktentwicklung“ kümmere ich mich gemeinsam mit dem künstlerischen Planungsteam. Das ist wahrscheinlich die Abteilung, die am weitesten vorausdenkt. Das Interessante ist, dass unser „Kernprodukt“, die sogenannte klassische Musik, bis zu 400 Jahre alt ist. Wir sind überzeugt, dass ein Konzertbesuch nicht einfach nur eine schöne Freizeitbeschäftigung ist, sondern dass diese Kunstwerke auch Jahrhunderte nach ihrer Entstehung eine wesentliche und aktuelle Aussage haben können. Diese Relevanz ist unser Hauptinteresse. Dass diese Musik sich weiterentwickelt, weitergepflegt wird und weiter ein Publikum findet. Da macht man sich natürlich viele Gedanken, wie das in der Zukunft sein wird. Welche Voraussetzungen hat das Publikum der Zukunft, wie wird es sich zusammensetzen? Es ist klar, dass sich die Geschichte der klassischen Musik in einem relativ überschaubaren Teil der Gesellschaft abspielt. Diese verändert sich rasch, deshalb richten wir uns darauf auch ein.

Wie lang- / kurzfristig betrachten und planen Sie Ihre Zukunft? 

Wir planen bis zu drei Jahre im Voraus. Wir entwickeln Konzertprogramme und neue Produkte, vor allem auch im Bereich Musikvermittlung für Kinder, Schüler und Familien. Uns ist nicht nur das Programm wichtig, sondern die ganze Dienstleistung rund herum. Der Kundenservice, das gute Image des Hauses, eine gute Kundenansprache, es geht um das Gesamterlebnis. Bei Marketing und Kommunikation gibt es bekanntlich eine rasante Entwicklung, alles ändert sich sehr schnell, zum Beispiel die Technologien im Bereich Vertrieb. Ich bin in der Regel dafür, Neuentwicklungen schnell zu adaptieren. Das hat auch mit meiner Laufbahn zu tun, meine erste berufliche Zeit habe ich in der IT-Branche verbracht und nicht in der Musikindustrie. Dadurch habe ich eine relativ hohe Affinität zu IT-Neuentwicklungen. 

Wie werden sich die Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Kunden in der Zukunft ändern und wie beschäftigen Sie sich damit? 

Da sind wir wieder beim Thema, ob wir nur die Wünsche des Publikums erfüllen oder ob wir es schaffen, etwas Unwiderstehliches zu bieten, von dem die Kunden vorher nicht wussten, dass sie es brauchen. Das funktioniert mit der Elbphilharmonie natürlich besonders gut, weil schon das Bauwerk einzigartig und ein großes Versprechen ist. Es ist eine gelungene Kombination aus genialem architektonischem Entwurf, gediegenem Innenausbau und einer symbolischen Lage mit fantastischer Aussicht. In den Sälen sind die Atmosphäre und die Akustik außergewöhnlich, also perfekt dafür geeignet, etwas Außerordentliches zu erleben. Die Versprechung ist top class, spannend, innovativ, ein Gebäude des 21. Jahrhunderts. Das ist eine gute Voraussetzung, um Menschen zu Erlebnissen zu verführen. Sie kommen zu Konzerten, die sie in der Laeiszhalle, die 1908 gebaut wurde, nicht akzeptieren würden, weil sie dort ganz andere Erwartungshaltungen haben. Und sie kommen wieder, weil sie von dem Erlebten so beeindruckt sind. Immer nur den Leuten nachzurennen und zu schauen,  was sie wollen, ist gefährlich. Wenn sie die Marketingabteilung nach den angesagten Entwicklungen im Consumer-Bereich gestalten lassen, kommt immer der kleinste gemeinsame Nenner raus. Aber das ist nicht das Spannende.

Was bedeutet für Sie Erfolg heute und was glauben Sie, wird sich in der Zukunft an den Bestandteilen von Ihrem Erfolg verändern? 

Erfolg ist in diesem Falle gut und wichtig, nicht nur als Belohnung für zehn Jahre des Kampfes und der Unsicherheit. Der Erfolg gibt auch den Raum und die Kapazität, weiter zu gestalten und zu entwickeln. Wenn man erfolgreich ist, kann man mit neuen Ideen schneller Türen öffnen, Leute überzeugen und leichter Geld finden für neue Projekte. Insofern bietet der Erfolg tolle Möglichkeiten. Persönlich finde ich Erfolg eher gefährlich, weil er einem zu Kopf steigen kann und man beginnt, sich für unfehlbar zu halten. Erfolg ist immer eine Mischung aus eigener Leistung, Teamarbeit und Glück. Je erfolgreicher man als Manager ist, desto bescheidener sollte man sein. Ganz zufrieden bin ich zwar nie, aber ich bin schon ziemlich oft glücklich, dass wir mit der Elbphilharmonie so viele Menschen begeistern können. Viel besser hätte das erste Jahr nicht laufen können, sowohl was die Nachfrage als auch die Qualität betrifft, die geboten wurde. Verbesserungen sind natürlich immer und überall noch möglich.

Welche  drei Eigenschaften sind Ihnen am wichtigsten bei Mitarbeitern die für Sie arbeiten / Sie rekrutieren?

Intelligenz und Offenheit ist mir wichtig. Ich glaube, ich engagiere oft Leute mit einer recht hohen sozialen Intelligenz. Neugier ist auch wichtig. Meine Mitarbeiter dürfen Fehler machen, sie sollen ihre Meinung sagen. Ich halte nicht viel von strengen Hierarchien, sondern mehr von vertrauensvoller Teamarbeit. Das funktioniert dann am besten, wenn man den Menschen Freiraum lässt, Dinge selber zu entwickeln und zu entscheiden.

Was war einer Ihrer größten Fehler in der Vergangenheit und wie haben Sie daraus gelernt bzw. Ihr Handeln verändert?

Fehler machen finde ich ganz normal. Es sollte nur nicht öfters der gleiche Fehler sein. Ich ärgere mich zwar schon über meine eigenen Fehler, aber das ist eigentlich unnötig. Ein konkretes Beispiel fällt mir gerade nicht ein.

Was sind momentan Ihre größten Investitionen in die Zukunft? 

Wir haben gerade das Team aufgestockt, um den Servicelevel erhalten zu können, der von der Elbphilharmonie mit Recht erwartet wird. Die Programmdichte ist sehr hoch, weit höher als geplant, wir operieren an der Grenze der Kapazität. Der Servicelevel betrifft nicht nur die Endkunden, also die Konzertbesucher, die Karten kaufen, sondern genauso die Förderer und Sponsoren, die Businesskunden, die Veranstalter, die mit uns kooperieren sowie die Künstler, die betreut sein wollen und sich im Haus wohlfühlen sollen. Schlussendlich natürlich genauso wie die Mitarbeiter. Mitarbeiterzufriedenheit ist etwas, was in einer Startphase gerne mal unter den Tisch fällt. Die ersten Monate waren sehr intensiv, viele Mitarbeiter waren bis zur Erschöpfung im Einsatz. Das macht man unter außergewöhnlichen Umständen auch gerne ein paar Wochen lang, aber dann muss Normalität einkehren. Daher sind wir gerade dabei, den Betrieb entsprechend zu strukturieren und zu organisieren.

Wie wird sich Ihre Branche in der Zukunft weiter entwickeln / verändern?

Ich glaube, dass Kunst und Kultur weiter wichtig sein wird. Vielleicht sogar wichtiger, als man dachte. Das Primat der Effizienz schiebt ja gerne die Kultur etwas auf die Seite. Nach dem Motto: ist ja nicht so wichtig, das gehört zu Freizeit und Unterhaltung. In den Schulen wird Musik und Kunst seit Jahrzehnten vernachlässigt, vorrangig ist die Ausbildung für den Arbeitsmarkt. Dabei sieht es so aus, dass wir da sehr schnell überholt werden von der technischen Entwicklung. Viele Berufe, die jetzt wichtig sind, wird es in 10 bis 20 Jahren gar nicht mehr geben, weil sie automatisiert sind oder durch künstliche Intelligenz viel besser gemacht werden. Für den Kreativbereich ist das eine große Chance, denn ein Computer wird noch lange nicht so kreativ wie ein Mensch sein. Und selbst wenn, wird es keinen Spaß machen, einen Computer als Komponist oder Dirigent zu haben. Das mag in gewissen Nischen kein Problem sein, aber auf der Bühne ist das nicht so spannend. Ich glaube, dass es immer noch ein großes Bedürfnis ist, Menschen dabei zuzusehen, wie sie darstellend oder musizierend kreativ sind. Die Hoffnung ist, dass auch in Zukunft ein Teil der Bevölkerung genügend Zeit und Geld hat, am Konzertleben teilzunehmen, vielleicht auch viel aktiver als bisher. Was die Institutionen betrifft, die Orchester, Konzert- und Opernhäuser, so wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Diejenigen, die sich nicht weiterentwickeln, neue Businessmodelle entwickeln, neu kommunizieren, überleben nicht. Die Spitzeninstitute werden überleben und ein paar Start-Ups werden die Sache neu angehen. 

Wie würde Ihr (innovatives) Bild des Unternehmens der Zukunft aussehen?

Das hängt vom Unternehmensziel oder der Organisation ab. Ich glaube meistens an eine gesunde Mischung von alt und neu, von innovativ und altmodisch. Ich kann mittlerweile überall auf der Welt mit meinem iPad erledigen, was ich sonst vor Ort in meinem Büro mache. Aber der persönliche Kontakt mit den Mitarbeitern und Kunden ist nicht zu ersetzen, ebenso wenig wie die Kompetenz und Kreativität eines eingespielten Teams. Es kann sicher dezentraler und internationaler zugehen, trotzdem bleiben die Menschen soziale Wesen, die gerne in Grüppchen zusammenstecken, sich kennen lernen wollen und gemeinsam Dinge entwickeln. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren.

Wer oder was inspiriert Sie und welchen Einfluss hat das auf Ihre Rolle?

Leute, die einen weiten Horizont haben. Ich versuche immer, nicht in meinem Kopf steckenzubleiben, sondern mich zu fragen: Worum geht es hier, warum machen wir das eigentlich? Unter den Musikern gibt es ganz viele reizende Leute, aber doch relativ wenige, die sich nicht ausschließlich auf ihr Musizieren fokussieren. Das kann man auch verstehen, wenn sie Höchstleistungen bringen müssen. Ich halte Kunst für wichtig und wesentlich im Leben, jeder Mensch sollte sich damit befassen, aber nicht unbedingt ausschließlich. Deswegen habe ich die spannendsten Gespräche mit den Künstlern, die auch etwas anderes im Kopf haben als ihre eigene Karriere und ihr eigenes Befinden.

stefanie unger